get shorties labor
 
Montag, 28. Juni 2004

Jaguttäääh – Mein EM-Tagebuch


Tag 16 (Sonntag, 26. Juni) „Liebes Tagebuch. Heute habe ich ein Fußballspiel zum ersten Mal in meinen Pantoffeln angeguckt. Und das, obwohl ich die Filztreter schon seit fast zehn Jahre habe. Der Fernsehsender Home Order Television (H.O.T.) hatte mir sie als Werbegag 1995 anlässlich seines Sendestarts geschenkt. H.O.T., das ist der Verkaufskanal, in dem zu Moderatoren umgeschulte Straßenverkäufer ihren Zuschauern Goldschmuckimitate, Bratpfannen, Fitnessgeräte und FC-Bayern-Trikots zu indiskutablen Preisen anpreisen und andrehen, und merkwürdigerweise kaufen viele H.O.T.-Zuschauer diese Artikel auch zu diesen indiskutablen Preisen. Wahrscheinlich aus lauter Bequemlichkeit, weil sie nämlich nicht mehr, wie früher, in die Stadt fahren müssen, um das Zeug einzukaufen, sondern weil sie es noch während der Sendung per Telefon bestellen können. Also ich, für meinen Teil, habe noch nie etwas bei H.O.T. eingekauft, weswegen sich der Kanal scheinbar nicht in meinem Hirnkasten verewigt hat, was wiederum dazu führte, dass die Fernsehpantoffeln nun schon seit 1995 in meinem Schuhschrank schmählich unbeachtet versauern. Irgendwie waren mir die fußangepassten Schlappen mit Gürtelstegen all die Jahre doch viel bequemer an den Füssen. Warum ich die Pantoffeln nun also ausgerechnet heute angezogen habe?

Nun, ich war zu Gast bei Freunden in Starnberg bei München: bei meinem alten Kumpel Martin, seiner Frau Birgit und dem fünfjährigen Sohn Marius. Wir haben gegrillt, was allein ja noch kein Grund ist, plötzlich auf die Idee zu kommen, Fernsehpantoffeln anzuziehen. Noch dazu beim Grillen auf der Terrasse (es gab übrigens lecker Grillfleisch und Kalbswürstel mit Salat un Ciabatta-Brötchen). Nein, wir grillten nicht nur, sondern nahmen uns auch das kultivierte Betrachten des äußerst kultiviert zu versprechenden Fußballspiels Tschechien gegen Dänemark vor. Und dazu, finde ich, sollte man auch kultiviertes Schuhwerk anziehen. Zumal bei Martin, Birgit und Marius noch dazu zwei samtpfötige Katzen durchs Haus schleichen. Und außerdem löste die Begegnung Tschechien gegen Dänemark in mir die Assoziation „Pantoffelkino“ aus: Kasperletheater, Spielfigurenkabinett, Laienspielgruppe. Oder aber: Fernsehen ganz klein und kuschelig und schwarz-weiß wie in den 70er-Jahren. Tschechien gegen Dänemark oder „Lolek und Bolek“ gegen „Wicki und die starken Männer“. Faxe, Snore und – wie hieß noch gleich der, der zu Wickis guten Ideen automatisch in die Luft sprang, dabei seine Hacken zusammenschlug und „ich bin entzückt“ jubilierte? War ja nur ‚ne Frage. Und wen’s interessiert: Beide Zeichentrickserien liefen seinerzeit geschickterweise immer um 17 Uhr, sodass ich mich mit meinen Freunden Lolek, Bolek, Wicki, Faxe & Co. taktisch und mental perfekt auf das Fußballtraining danach vorbereiten konnte. Beide Zeichentrickserien waren also meine idealen Taktiktafeln der 70er Jahre!

Zurück nach Starnberg und seinen Pantoffelhelden: Martin hielt zu Dänemark, Birgit drückte den Tschechen den Daumen und Marius war zu Spielbeginn um Viertel vor Neun, wie sich’s gehört, schon im Bett. So konnte ich leider nicht miterleben, dass er, wie mir überliefert wurde, bei Fouls prompt die Rote Karte fordert und anschließend fragt, wann denn endlich die Sanitäter auf den Platz kämen. Ich hielt übrigens mal wieder völlig emotionslos und nüchtern zu der Mannschaft, für die ich im Tippspiel auch getippt hatte. Und das spielt hier jetzt wirklich keine Rolle! Also nochmal: Tschechien gegen Dänemark oder „Lolek und Bolek“ gegen „Wickie und die starken Männer“. Und irgendwie wirkten die Dänen wirklich wie die chaotische, aber liebenswürdig tolpatschige Wikingertruppe: kahl geschoren der eine, Stoppelbart der andere, O-Beine der Dritte, dazu einen Verteidiger, der aussieht wie der Drummer von Metallica und alle hatten irgendwie einen grimmigen Gesichtsausdruck. Und kaum war der Anpfiff ertönt, ging’s auch schon vorwärts: Raus aus der Wikingergaleere und auf sie mit Gebrüll. Rennen, kämpfen, spielen. Dabei immer geradeaus und auf den direkten Weg zum Tor. Das aber möglichst schnell und dabei immer schön fair bleiben. Mit der Zeit sah das recht ungeschickt aus, weil es nicht viel einbrachte und die Tschechen die Wikinger mit Glück und Geschick meist vor ihrem Strafraum fern hielten.

Das konnte nicht gut geht – für die Dänen! Denn unvermittelt schlugen „Lolek und Bolek“ gnadenlos zu. Und zwar unmittelbar nach der Halbzeitpause, als alle noch dachten: Auch dieses Spiel endet bestimmt wieder im Elfmeterschießen. Mitnichten: Bei drei ging’s plötzlich los und immer spielten die schlitzohrigen Tschechen die dänische Abwehr zu zweit aus. Zuerst Karel „Lolek“ Poborski auf „Jan „Bolek“ Koller – Ecke, Kopfball, 1:0. Zehn Minuten später: wieder Karel „Lolek“ Poborski diesmal auf Milan „Bolek“ Baros – schneller Pass in die Tiefe, den Ball mal eben elegant über den Torwart geschaufelt, 2:0. Und weil es so schön war, zwei Minuten später gleich noch einen hinterher: Diesmal war es Pavel „Lolek“ Nedved und der „Bolek“ war wieder Milan Baros – Steilpass in die Tiefe, dem Dänen-Verteidiger einfach davon gesaust, strammer Schuss unters Tordach, 3:0. Danach waren die Wikinger besiegt. Sie stürmten zwar noch um das Ehrentor, schienen aber irgendwie demoralisiert zu sein. „Lolek und Bolek“ besiegten also „Wicki und seine starken Männer“ mit 3:0, zogen ins Halbfinale ein und müssen nun beweisen, dass sie auch Ottos griechische Spielzerstörer auseinander nehmen können. Eine Viertelstunde brauchte die tschechische Schlitzohrigkeit unterm Strich, um die dänische Geradlinigkeit aus dem Turnier zu fieseln. Und was lernen wir jetzt daraus? Wer Fußball in Pantoffeln anguckt und das Spiel Tschechien gegen Dänemark mit 70er-Jahre-Fernsehserien vergleicht, gibt garantiert falsche Tipps ab!

... bis Morgännn!!!


 
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