weisscri - 16. Januar 2007 um 07:50:25 MEZ Wie ich mein Leben anhielt, weil beim BND kein Platz mehr war Ich werde überwacht. Nicht erst seit gestern, sondern mein ganzes Leben lang. Woher ich das weiß? Schaut euch doch mal um! Fällt euch nicht irgendetwas auf? Die Leute und die Autos und so. Die stehen einfach still. Nichts bewegt sich mehr. Selbst die Luft erscheint viel zu ruhig. So ruhig, dass selbst der Feinstaub keine Lust mehr hat, herumzuwirbeln. Aber der Reihe nach. Am letzten Sonntag entschied ich mich, meine Freundin Franziska anzurufen und mit ihr über Gott und die Welt zu reden. Meistens sind wir so überarbeitet und eigentlich nicht mehr in der Lage, irgendwelche vernünftigen, tiefschürfenden Gespräche zu führen. Nicht nur, dass wir eigentlich nur Unsinn reden, nein, die Gespräche dauern meistens auch noch mehrere Stunden. Ich wählte also ihre Nummer auf meinem Handy, als ich auf einmal diese Stimme hörte: "Verdammte Scheiße, er ruft sie an - hol das 120-Minuten-Band und prüf..." Hier wurde die Männerstimme unterbrochen und es erklang das Freizeichen. "Ja, hallo, hier ist Franziska."
"Nein, wieso, welche Stimme?"
In den kommenden Wochen kam es immer wieder zu merkwürdigen Vorkommnissen. Urplötzlich hörte ich auf einmal ganz deutlich ein Schnarchen. Franziska war es nicht, denn schließlich hatten wir uns gerade angeregt über neue Abdichtungsmaßnahmen bei Dächern unterhalten. Und außerdem war es ganz deutlich das Schnarchen eines Mannes, das aus meinem Telefon zu hören war. Ein anderes Mal hörte ich, nachdem ich den Fernseher angemacht und in einem Bericht der Tagesschau mehrmals lautstark das Wort "Al Kaida" fiel, hektisches Gemurmel, das es mir fast unmöglich machte, Franziska zu verstehen. "Franziska," sagte ich, "wer ist das da bei mir ständig im Telefon?"
Kaum hatte sie den Satz zuende gesprochen, ertönte auch schon ein weit entferntes Lachen, das aber sofort wieder verstummte. Samstags ist bei mir Putz- und Einkaufstag. Erst wird geputzt und dann wird im Supermarkt eingekauft. So auch am letzten Samstag. Ich hatte meinen Einfkaufswagen schon fast gefüllt, als mich beim Regal mit den Erbseneintopf-Konserven plötzlich ein Mann ansprach. Sprechen war allerdings nicht das richtige Wort - er flüsterte vielmehr. "Wir müssen uns unterhalten" flüsterte er mir ins Ohr. "Es ist wichtig. Wir haben ein Problem. Ein großes sogar." Ich verstand kein Wort. "Wir haben keinen Platz mehr."
Ich verstand noch weniger. Welche Bänder? Wovon sprach dieser Mann? Warum steht ein Mann am Regal mit Erbseneintopfkonserven neben mir und flüstert mir orakelhaft merkwürdige Sachen ins Ohr? "Wovon sprechen Sie? Welche Bänder?" fragte ich ihn. Wortlos zeigte er mir einen Ausweis, auf dem nur drei Buchstaben standen: BND. Ganz klein darunter - so klein, dass man es kaum lesen konnte, war der Zusatz "Bundesnachrichtendienst - Personenüberwachung" zu erkennen. "Und wir haben noch ein Problem" hörte ich ihn sagen. "Die Bänder sind auch alle. Wir zeichnen Ihr ganzes Leben auf Video auf. Und seit 1977 hören wir Ihre Telefongespräche ab. In dem Jahr hatten Sie das erste Mal telefoniert. Mit Ihrer Mutter. Als Dreijähriger. Es war aber ein ganz kurzes Gespräch. Eigentlich war auch nichts zu verstehen. Ihre ganzen Gespräche als kleines Kind passten auf ein 120-Minuten-Band. Aber so langsam bekommen wir ein Problem. Der Raum, in dem Ihre Bänder gelagert werden, ist voll. Bis unter die Decke. Wir haben damit - ehrlich gesagt - nicht gerechnet. Und jetzt ist nur noch Platz für ein 60-Minuten-Band - im letzten Regal, ganz hinten am Fenster." Als er diesen Satz beendete, setzten sich die Puzzleteile der Merkwürdigkeiten in meinem Kopf zusammen. "Und was heißt das jetzt? Was bedeutet es, wenn nur noch Platz für ein 60-Minuten-Band ist?" fragte ich ihn. Er schaute mich an und antwortete mit einem ernsten Gesicht: "Ganz einfach. Sie müssen Ihr Leben anhalten. Sie haben jetzt noch genau 58 Minuten-Zeit auf dem letzten Band. Dann würden wir Sie bitten, Ihr Leben anzuhalten. Sie müssen uns da verstehen. Ihnen ist nur ein Raum zugeordnet. Wenn wir Ihnen mehr Platz geben, dann müsste jemand anderes sofort sein Leben anhalten. Vielleicht eine wichtige Persönlichkeit!" Ich schluckte. Mein Leben anhalten? Einfach so? Für immer? Der Mann schien meine Gedanken zu erraten. "Nicht für immer" sagte er. "Nur bis 2010. Dann ist der Neubau des BND an der Chausseestraße in Mitte fertig und wir haben wieder genug Platz. Ich habe die neuen Bänder schon bestellt." Er lächelte zufrieden über seine vorausschauende Planung und gab mir die Hand. "Auf Wiedersehen. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Und beeilen Sie sich. Sie haben nur noch 55 Minuten Zeit. Suchen Sie sich eine Kasse, an der die Schlange nicht so lang ist. Nicht, dass Sie Ihr Leben hier im Supermarkt anhalten müssen!" Er lachte und verschwand hinter dem Regal mit dem Geschirrspülmittel. Und so kam es, dass ich mein Leben anhielt, weil beim BND kein Platz mehr war. Alles um mich herum steht still und ist ganz ruhig. Es hat aber auch sein Gutes. Keine Klingeltonwerbung im Supersparabo, die im Fernsehen läuft. Kein Autolärm mehr auf der Straße. Keine lästigen Anrufe. Aber auch kein Vogelgezwitscher, keine Anrufe von Freunden. Keine Musik von Mozart. Und das in diesem Jahr! Alles verschwunden. Einmal im Jahr bekomme ich immerhin einen Anruf. Das einzige, was in meinem Leben nicht stehengeblieben ist. Der BND gratuliert mir zum Geburtstag und erzählt mir vom Planungsstand des Neubaus. Mit dem Bau soll in zwei Jahren begonnen werden. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Finanzierung verzögert sich allerdings die Fertigstellung auf 2012. Wenn es überhaupt dazu kommt. Die Große Koalition will den Umzug des BND nach Berlin - und damit natürlich auch den Neubau - stoppen. Ich bin frustriert. Am besten erstmal einen Tee zur Beruhigung machen. Ach nein, Mist! Geht ja nicht - es kommt ja kein Wasser aus dem Hahn.. |
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