get shorties labor
 

Jaguttäääh – Mein EM-Tagebuch


Tag 14 (Freitag, 25. Juni) „Liebes Tagebuch. Heute haben wir wieder einen Baum gefällt. Diesmal eine Tanne, ca. acht Meter hoch und 20 Zentimeter dick. Das arme Stück Pflanze war zwar noch nicht komplett verendet, aber bereits derart abgemagert und dem Tod geweiht, dass wir sie damit wahrscheinlich erlöst haben. Direkt hinter ihren beiden Geschwistern und direkt vor der Grundstücksmauer hatte die Tanne keine Chance zu überleben und wäre beim nächsten Sturm wahrscheinlich umgeknickt wie ein Streichholz. Sie musste einfach raus. Erkannt, gesagt, getan: Eine halbe Stunde hat’s gedauert; mit der Handsäge wurde sie abgeholzt und anschließend zerhakt und zersägt. Jetzt steht die Tanne in Einzelteilen zerlegt hinter der Holzhütte. Diese großartige Aktion war aber nicht das einzig Produktive, das wir an diesem wunderschönen Sommerabend auf einem Grundstück im rebenreichen Stromberg irgendwo zwischen Ludwigsburg und Heilbronn unternommen haben. Zuvor wurde rhythmischen Schrittes die große Wiese des Stücks gemäht. Mannshoch stand das Gras bereits und vier Herren bahnten sich mit geschärften Sensen wie einst Harrison Ford im „Jäger des verlorenen Schatzes“ den Steilhang durch den größten Ochsenbacher Grasdschungel hinauf. Jetzt nur noch den Schwenkgrill aufstellen und drauf die Lappes: vier Mal Ribeye-Steaks und vier Schweinebäuche. Dazu Paprika, Gurken und lecker Rotwein. Und im Hintergrund die Fußballreportage Frankreich gegen Griechenland.

Du hast es natürlich längst gemerkt, liebes Tagebuch: Der wöchentlich obligatorische Herrenabend fand diesmal an einem Freitag statt. Hat sich halt so ergeben, man muss auch im hohen Alter noch flexibel sein. Auch und vor allem in medialer Hinsicht. Versuchten wir vor Wochenfrist noch vergeblich, mit einem Weltempfänger das Vorrundenspiel England gegen die Schweiz mitzuerleben, hatten wir diesmal einen Miniatur-Farbfernseher dabei. Bastis Errungenschaft! Nicht viel größer als ein Kofferradio und mit einer Bildschirmdiagonale von vielleicht fünf Zentimetern. Dennoch zeigte sich das Bild überraschend scharf, wenngleich etwas körnig. Um dem rasanten Spiel jedoch folgen zu können, mussten wir uns mit dem Zuschauen abwechseln, denn allenfalls zwei Mann können gleichzeitig in den Winzfernseher hinein schauen. Allerdings ist der Blickwinkel dann so schräg, dass nicht viel zu erkennen ist. Also sich lieber mal einzeln davor stellen und zwar mit höchstens fünf Zentimetern Augenabstand. Sonst sieht man nur Bewegungen.

Besser noch, man setzt sich ganz weit weg, stellt sich vor, das Gerät sei ein Radio und hört nur zu. Der Mini-Fernseher hat nämlich zwei Aktivlautsprecher, wie man sie vom PC her kennt und einen ziemlich guten Empfang, vor allem auf den Höhen des Strombergs. Guter Sound war also garantiert. Nun musste nur noch der Inhalt stimmen. Und wir hatten Glück: Der Reporter Steffen Simon hat das Spiel Griechenland gegen Frankreich so wortreich, plakativ und emotional in allerbester Radioreportermanier wiedergegeben, dass man überhaupt kein Bild dazu brauchte. Auch jene Herren des Herrenabends, die an ihrem Fleischstück zu arbeiten hatten und deshalb nur zuhören konnten, waren stets bestens informiert: Die scheinbar übermächtigen Franzosen hatten offenbar keinen Plan, wie sie Ottos Griechen aus den Angeln heben sollten. Im Gegenteil: „Rehakles“ hatte seine Mannschaft offenbar so intelligent und diszipliniert eingestellt, dass Zidane & Co. ihr gefürchtetes Zauberspiel gar nicht erst praktizieren konnten. Und als Charisteas, der Bremer, gar den Führungstreffer für die Griechen erzielte, war es um Herrn Simon endgültig geschehen. Man musste gar Angst haben um seine Gesundheit, so erregt fieberte er mit Griechenland und so enthusiastisch kommentierte er den Niedergang der Fußballgroßmacht Frankreich, einer Ansammlung alt und satt gewordener Egozicken. Man musste bei der Reportage bald froh drum sein, dass Simon nicht im Herzinfarkt gefährdeten Alter ist. Andererseits: Zuviel Arbeitsstress hat schon 30 bis 40jährige Männer in die Bypassabteilung manövriert. Am Ende hieß es 1:0 für Griechenland und Millionen Griechen in ihrer Heimat, in Deutschland und anderswo auf der Welt machten die Nacht autokorsal, tanzend und trinkend zum Tage.

Steffen Simon hat das Spiel meines Wissens überlebt und nicht nur Griechenland, sondern nun auch Deutschland einen neuen Fußballgott: Otto Rehhagel aus Essen! Einst verhöhnt, verschmäht, belächelt und vertrieben. Hatte mit Werder Bremen 14 Jahre lang alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Dafür wurde er Mitte der Neunziger mit dem Trainerjob bei Bayern München geadelt, von Beckenbauer & Co. aber nach noch nicht einmal einem Jahr wieder aus der Stadt gejagt. Und das, obwohl er den UEFA-Cup holte und den Meistertitel nur knapp verpasste. Die Münchner Spieler und Medien hatten sich über ihn, seine kulturellen Vorlieben und seine Trainingsmethoden so lange lustig gemacht, bis er schließlich keine Autorität mehr hatte und einen Tritt in den Hintern bekam. Dann seine bittere Rache: Mit dem Zweitliga-Aufsteiger und Underdog 1.FC Kaiserslautern trieb er die Bayern eine Saison lang vor sich her und schnappte ihnen schlussendlich den Titel weg. Aber auch in Kaiserslautern wurde Rehhagel danach das Opfer hirnverbrannter Vereinsmeier und Wichtigtuer, wurde entlassen – und ging nach Griechenland. In ein Land, das uns die Demokratie, das dramatische Theater, allerlei Weltwunder, grandiose Mythen und herrliche Kost brachte. In dem Fußball aber noch nie eine große Rolle spielte. Bis vor drei Jahren. Bis Otto kam.

Jetzt, bei der EM, haben die Griechen nacheinander Portugal, Spanien und Frankreich erlegt und stehen nun im Halbfinale. Eine Sensation sondergleichen, und es war köstlich anzuhören, wie die deutschen Reporter, Kommentatoren und Experten nach dem Sieg gegen Frankreich jenem Otto, den sie jahrelang lautstark belächelt hatten, inzwischen verbal zu Füßen lagen. Otto Rehhagel, und kein anderer, hatte es tatsächlich geschafft, die große „Equipe Tricolore“ zu erledigen, vor der jede andere Mannschaft der Welt seit sechs Jahren auf dem Platz vor Ehrfurcht erstarrt. Wie zum Beispiel die Deutschen, die noch vor nicht allzu langer Zeit im eigenen Stadion von ihnen gedemütigt wurden (3:0 in Gelsenkirchen). Abbitte mussten sie, die vorlauten Experten, in aller Öffentlichkeit vor Otto leisten. „Wir verneigen uns vor Otto Rehhagel“ sagte zum Beispiel Steffen Simon nach dem Schlusspfiff. Und es war eine Wonne, in der ländlichen Abgeschiedenheit des nächtlichen Strombergs Ribeye-Steak kauend dabei zuzuhören, wie Otto Rehhagel dem ARD-Waldi im Interview danach stellvertretend für alle genüsslich, eloquent, dabei aber durchaus höflich und Fakten orientiert vorhielt, was das deutsche Expertentum über die Jahre hinweg Dämliches über ihn verzapft hatte: Er könne nur Werder Bremen trainieren, er sei zu alt und sein System zu antiquiert, er könne mit den Medien nicht umgehen. Alles Bullshit! Es ist gerade umgekehrt und nun hat er’s den tollen Franzosen und den deutschen Besserwissern gezeigt. Jetzt finden Otto plötzlich alle wieder gut, wahrscheinlich auch deshalb, weil er neben dem Schiri Dr. Merk der einzige verbliebene Deutsche im Turnier ist. Und das betonen sie immer ganz besonders gerne, unsere Fernsehfuzzis, vor allem, weil es nun auch für die Deutschen immer noch einen Grund gibt, die EM einzuschalten. Und immer schön alles für die Quote, auch in ARD und ZDF. Pharisäer, alles Pharisäer!

Bis morgännn!!!


 
  
 
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